Donnerstag, 25. August 2016

Abschlussbericht

Kaum zu glauben, ich melde mich aus Deutschland!! Seit genau zwei Wochen bin ich zurück in Europa.

Kalkeri schlief noch friedlich, als ich um 5 Uhr morgens am 7. Juli das letzte Mal meinen Rucksack schulterte und mich in meinen abschließenden Reisemonat begab, der mich in den Norden Indiens und Nepal geführt hat.
Die Woche vor meinem Abschied haben wir Freiwilligen mit den Kindern eine Tanzparty im Hostel gefeiert und wunderbare letzte Tage genossen. Gerne habe ich jeden Ort aufgesucht, der mir über das Jahr ans Herz gewachsen ist und habe so von Kalkeri und der Schule Abschied genommen. Danke an alle meine Kalkeri Freunde für ein wunderschönes gemeinsames Jahr!

An diese Stelle spreche ich auch ein großes Dankeschön an alle meine Förderkreisunterstützer aus, die mir dieses Jahr ermöglicht haben, Danke!!

ICJA bittet alle Freiwilligen um eine abschließende Reflektion ihres Jahres. Hier möchte ich gerne meinen Abschlussbericht mit euch teilen, der den Lernprozess meines Freiwilligen Sozialen Jahres zusammenfasst. Viel Spaß beim Lesen:


365 Tage sind um und ich sitze wieder auf der Gartenterrasse bei meinen Eltern in Berlin. Der Baum vor mir ist deutliche gewachsen, genauso wie mein Bruder und meine Schwester. Den bewölkten Monsunhimmel habe ich hinter mir gelassen, denn hier scheint die Berliner Spätsommersonne. Im Vergleich zu meinen Geschwistern sitze ich im Pulli da und genieße die kühle Brise nach der im letzten Jahr erfahrenen Hitze in Indien.
Ich schließe die Augen und versuche mir Kalkeri vorzustellen, den Ort der Musikschule in der ich letztes Jahr gelebt und gearbeitet habe. Langsam driften meine Gedanken ab. Hier in Deutschland ist es grade 9 Uhr morgens, heißt, die Jungs, die ich über das Jahr betreut habe stellen sich wohl grade zur mittäglichen Reisausgabe um 12:30 an. Die Tatsache, dass mein Leben nun parallel und zeitversetzt zu dem in Kalkeri stadtfindet, fällt mir schwer zu begreifen.

In Kalkeri habe ich in einer Gemeinschaft von 10 – 20 Freiwilligen gelebt, umgeben von der Musikschule mit etwa 250 Schülern. Meine fünfköpfige Familie erscheint mir im Vergleich plötzlich sehr ruhig und klein. Das Leben in der Gemeinschaft in Indien hat mich vieles gelehrt, was ich auch sehr gut hier in Deutschland auf Familiensituationen und zukünftige neue Wohngemeinschaften anwenden kann.
Das Zusammenleben mit so vielen Menschen hat mich daran erinnert, dass Kommunikation das A&O für eine friedliche Gemeinschaft ist. In unseren wöchentlichen Meetings hatten wir nicht nur die Möglichkeit schulorganisatorische Dinge zu planen, sondern auch uns über jegliche Themen auszutauschen, die uns im Zusammenleben beschäftigten, sei es eine Diskussion zu einer nicht sauberen Küche bis hin zu einem gemeinsam geplanten Freiwilligenabend. Ich habe gelernt Vertrauen in meine Mitmenschen zu haben und in schwierigen Situationen auf sie bauen zu können. Ich bin dankbar für alle lieben, unterstützenden Worte und Umarmungen meiner Mitbewohner, als mich in den ersten Monaten das Heimweh überkam. Gegenseitige Unterstützung hat uns alle sehr gestärkt.
Da der Gemeinschaftsgedanke bei jedem sehr ausgeprägt und präsent war, zählten sich alle  Schulmitglieder (Schüler, Lehrer, Betreuer, Büromitarbeiter & Freiwillige) gerne zur „KSV Family“.

Freiwillige die sich in Kalkeri engagieren, haben die Möglichkeit als Kunst-, Mathe- oder Englischlehrer, Betreuer oder Krankenpfleger in der Schule mitzuwirken. Gerne werden auch Freiwillige aufgenommen, die selbstständige Projekte für die Freizeitgestaltung der Kinder planen (z.B. Yoga- oder Tanzklassen). Im Allgemeinen wird jedem Freiwilligen während seines Aufenthalts ein Aufgabenbereich zugeordnet (z.B. war ich Betreuerin für die Jungs der 3 – 6  Klasse).  Außerdem gehört es zur gemeinsamen Freiwilligenarbeit, samstags beim Aufräumen des Schulgeländes zu helfen, sowie  einen gestaltungsreichen Sonntag für die Kinder zu organisieren. Hinzu kommen weitere kleine Aufgaben, wie die morgendliche Mülltrennung, helfen bei der Essensausgabe und dem Tellerverteilen.
Schön ist es, dass Freiwillige während des Aufenthalts auch die Möglichkeit haben, neben ihrer Arbeit, klassische hindustanische Musik von Schülern und Lehrern Vorort zu lernen. Beispielsweise habe ich Gesangsstunden genommen und bin so der Kultur und den Menschen auch in musikalischer Hinsicht näher gekommen.

Rückblickend bin ich sehr zufrieden, nach den ersten drei Monaten im Projekt, in denen ich erst einmal als Lehrerin gearbeitet habe, schließlich auszusprechen, dass ich lieber als Betreuerin tätig wäre. Ich hatte Glück, dass ein Lehrer- Betreuer Tausch zu dem Zeitpunkt möglich war. Nach einigen Gesprächen mit meiner Freiwilligenkoordinatorin, in denen wir über meine Arbeit und die damit verbunden Erwartungen und Vorstellungen meinerseits, den Pflichten der Realität gegenüber  gestellt haben, war für uns beide offensichtlich, dass ich in Kalkeri besser als Betreuerin aufgehoben wäre.
Nachdem ich also einer Aufgabe gefolgt bin die mich erfüllt hat, konnte ich beobachten wie viel mehr Energie, Freude und Spaß ich in meiner Arbeit stecken konnte als zuvor. Viel aktiver und motivierter habe ich meine Tage angetreten.
Die ersten drei Monate waren geprägt von Heimweh und einer nicht zufrieden stellenden Arbeit. Nach dem Wechsel hat sich die Situation für mich um 180˚ gedreht.
Dies hat mich gelehrt und mir geholfen abzuwägen und bei Unzufriedenheit das Gespräch mit meinen Mitmenschen zu suchen, um gemeinsame Lösungen zu finden.

Im Allgemeinen war es zu Beginn eine Herausforderung ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, weil man mit seinen Vorgesetzten und Mitfreiwilligen auf dem Schulgelände sowohl gearbeitet als auch gelebt hat. So wird man mit Allem und Jedem ständig konfrontiert und kann sich nicht verkriechen. Die ständige Begegnung hat jedoch letztendlich zu einem ehrlichen Zusammenleben untereinander beigetragen.

Ab meinem dritten Monat in Kalkeri bestand meine Aufgabe darin, die Ansprech- und Vertrauensperson für 40 Jungs aus der 3 – 6 Klasse zu sein. Sie in ihrem Alltag zu unterstützen, ihnen Zeit, Liebe, Vertrauen und Aufmerksamkeit zu schenken sah ich als meine Aufgabe als Betreuerin. Über das Jahr habe ich eine familiäre Beziehung zu den Kindern aufgebaut. Da alle von klein auf sehr lange Zeit fern von ihren Familien und Müttern aufwachsen, suchen viele Kinder nach einem Schwester- oder Mutterersatz. Ich bin sehr in meiner Aufgabe als Betreuerin aufgegangen.

Kontakt zu den Kindern aufzubauen ist mir leicht gefallen. Sowohl sie als auch ich, waren sehr aufgeschlossen und neugierig uns gegenseitig kennen zu lernen. Mir fällt es leicht loszulassen und mit den Kindern zu toben und sie zu beschäftigen. Gerne habe ich ihre englische Kenntnisse gefordert und Gespräche mit ihnen gesucht, mich mit ihnen über ihren Tag, Spiele, die Schule und Filme unterhalten. Auch habe ich viel vorgelesen und Geschichten erzählt, sowie mit ihnen gebastelt und gemalt.
Ohne Probleme bin ich gerne kleineren Aufgaben wie dem Nähen und Reparieren kaputter Kleidung und dem Verarzten kleiner Verletzungen nachgegangen. Die alltägliche Bereitschaft die ich den Kindern geboten habe, hat sie gelehrt mir zu vertrauen und mich in ihrem Zuhause zu akzeptieren. Das Hostelleben ist für mich mit der Zeit zu einem zweiten Zuhause geworden und die 40 Jungs meine kleinen indischen Brüder.
Während der Arbeit im Hostel habe ich mir die Verantwortung für die Kinder mit mindestens einem
indischen Betreuer geteilt. Über das Jahr haben die Betreuer, mit denen ich zusammengearbeitet habe, mehrmals gewechselt. Mit jedem fiel die Zusammenarbeit unterschiedlich aus, dennoch war stets die Kommunikation ausgewogen. In Anbetracht kulturübergreifender Zusammenarbeit ist mir aufgefallen (da ich in einem Jungshostel gearbeitet habe und somit nur männliche Kollegen hatte), dass einige indische Männer überrascht waren, von mir als Frau mit so vielen Meinungen und Ideen konfrontiert zu werden. Teilweise hatte ich das Gefühl, bei einigen Entscheidungen der Einfachheit halber übergangen zu werden. Jedoch hat sich das schnell gelegt und ich habe mich im Hostel respektiert gefühlt.

Ich habe während meines Freiwilligen Sozialen Jahres nicht nur hinsichtlich der Arbeit mit Kindern aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen etwas gelernt, sondern auch viel im Bezug auf das gemeinsame Leben mit Menschen aus unterschiedlichsten Ländern, sowie über den internationalen Kultur- und Wissensaustausch.
Auch meine Sprachkenntnisse haben sich verbessert. Ein Jahr lang war die englische Sprache mein tägliches Kommunikationsmittel. Anfangs war ich eher schüchtern mich auf Englisch in großer Runde zu äußern, jetzt ist das kein Problem mehr.

Im Allgemeinen kam mir vieles zu Beginn wie ein großes zu bewältigendes Hinderniss vor. Während der Zeit in Indien habe ich jedoch gelernt die Hindernisse gelassener anzugehen, den Berg zu besteigen und die wunderschöne Aussicht des Gelernten zu genießen! 

Vielen Dank fürs Lesen! Es hat mich gefreut, mein Jahr hier mit euch zu teilen!
Dieser Post ist mein letzter Eintrag.

Viele liebe Grüße!!
Eure Lisa