Mittwoch, 20. Januar 2016

Ein Tag in Kalkeri ♥

Die Ferien haben grade erst aufgehört, doch das Semester ist gefühlt schon fast zu Ende…die Zeit fliegt! 
Es ist viel passiert, soviel, dass ich nicht die Zeit zum Schreiben gefunden habe. Umso ausführlicher möchte ich heute sein.

Nachdem dem überrumpelnden Schulanfang standen zunaechst Aufgaben an wie:

- die Elementary Class neustruktorieren (Mein Konzept konnte sich auf Dauer leider nicht durchsetzen, da die geeigneten Lehrer ausgefallen sind. Zurzeit improvisieren wir wöchentlich um den Unterricht beizubehaltenn.)

- die Ankunft 15 neuer Freiwilligen,

- einen Jobwechsel,

 - Jagriti Yatra war bei uns im Projekt zu Besuch (http://www.jagritiyatra.com/),

- Weihnachten & Silvester,

- den Besuch einer kanadischen Austauschklasse (Die Klasse, der Tochter der Gründer der Schule ist zu Besuch gekommen.)

- und den Dreh einer Dokumentation über das Projekt.

Als das alles geschaft war, hatte ich das große Glück, dass im Projekt übriggebliebene Zugtickets verlost wurden und ich mir spontan mit fünf weiteren Freunden ein paar Tage Auszeit in Hampi nehmen konnte.


Nächste Woche geht es dann auch schon auf zum „Middle Camp“. Ich bin gespannt alle ICJA Gesichter nach einem halben Jahr wieder zu sehen und ihre Geschichten zu hören.

Für mich hat sich seit Oktober viel verändert. Denn vor den Ferien habe ich noch als Lehrerin gearbeitet. Das hat mir sehr viel Zeit und Kraft geraubt und mir auch nicht unbedingt so viel Spaß gemacht wie ich zu Anfang gedacht hatte. Dennoch habe ich die Kinder in meinen Klassen sehr liebgewonnen und somit angefangen mehr Zeit Nachmittags und Abends in ihren Hostels zu verbringen, besonders gerne im Medium Boys Hostel (3-5 Klasse). Von Zeit zu Zeit habe ich mehr Gefallen daran gefunden als Betreuerin, anstatt als Lehrerin zu arbeiten. Mit der Ankunft der neuern Freiwilligen war es mir dann auch möglich Aufgabenbereich zu wechseln. Seit Oktober gehe ich daher voll und ganz in Medium Boys Hostel als Betreuerin auf.
Um euch meine Leben und meine Arbeit hier bestmöglich zu vermitteln, dachte ich teile ich einen Tag mit euch, so wie ich ihn hier in Kalkeri lebe. Viel Spaß beim lesen!


Der Hahn kräht, Kindergesang und Trommelrhythmen wecken mich auf. Es ist dunkel, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Später, wenn ich mich auf den Weg zu meinem Hostel mache wird es schon halbwegs hell sein. Während ich mich den Hügel runterschlängle, vorbei an einigen Klassenzimmern, wickel ich mir einen Schal um und ziehe meinen Pulli zurecht, denn es kann ziemlich kühl sein am Morgen. 
Von klassischer hindustanischer Musik begleitet erreiche ich das Medium Boys Hostel, in dem ich friedlich schlafende Jungen von der 3-5 Klasse vorfinde. Der eine oder andre mag vielleicht schon wach sein und mir ein verschlafenes „Guten Morgen“ zu murmeln. Die fünftKlässler sind schon seit einer Stunde auf den Beinen und üben ihre Instrumente während der alltäglichen „Musical Practice“. Ich schlängle mich durch die schlafenden Kinderreihen und versuche die Morgenmuffel aufzuwecken. 
Eine Halbestunde haben die 35 Jungs um aufzuwachen, Zähne zu putzen, zu duschen und ihre Haare mit Kokkusnussöl in die gewünschte Form zu bringen, denn dann geht es auf zum „ Campus cleaning“ der Schule.
Mit Sicherheit wird Viru als erster aufspringen, seine Chetai und Decke zusammenlegen und mich um Seife bitten, um so als erster duschen zu können.  Auch Malikrian hätte gerne die Seife als erster, jedoch ist er nicht schnell genug, sondern sitzt noch auf seiner Chetai und reibt sich müde die Augen.
Langsam kommt Bewegung ins Hostel, das Licht wird angemacht und Kinderstimmen füllen den Raum. Nun heißt es alle Kinder zum Duschen und Zähneputzen bewegen, abgesehen von Viru kann das an bei einigen Kindern ziemlich schwer sein. Denn wie gesagt, die Morgenstunden si d kühl und eine kalte Dusche, draußen ist nicht unbedingt gemütlich kurz nach dem Aufwachen. Gerne versteckt sich dann einige wie, Mahamad, Vital, Majur und Vinay unter ihren Decken. So kommen sie nicht drum rum manchmal schön wachgekitzelt zu werden.
Der eine oder andere Streit kann auch schon vor dem Frühstück entstehen, dann fließen Tränen und Schimpfwörter wie Wasserfälle in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Oft begegnen einem bei der Arbeit mit den Kindern Probleme mit der Disziplin und Aufmerksamkeit Erwachsenen und Mitschülern gegenüber. Keine körperliche Gewalt anzuwenden, die Fähigkeit in Ruhe zuzuhören und Rücksicht zu nehmen ist für einige Kinder schwer. Gemeinsam mit den indischen Betreuern versuche ich dann den Überblick zu behalten. Die Schule möchte den Kindern neue Werte nahelegen. Das erweist sich nicht immer als so leicht, da die meisten Schüler ein anderes Verhaltensmuster aus ihren Familien gewöhnt sind. Sie stammen größtenteils aus unterprivilegierten und sozialbenachteiligten Familien und sind eine härtere Erziehung gewöhnt. Die Freiwilligen teilen ihre Zeit , Liebe und Geduld um den Kindern einen anderen Weg zu zeigen. Während dieses Lernprozesses kann es passieren dass einige Kinder die Großzügigkeit und Freiheit, die sie in der Schule (anders als zuhause) genießen zu ihrem Vorteil ausnutzen um tun und lassen zu können was sie wollen. Das kann manchmal ziemlich frustriesend sein. Jedoch fällt auf, das überwiegend die jüngeren in der Hinsicht Probleme schaffen (Smal& Medium), die Größeren (Big & Senior) wiederum scheinen die Idee einer friedlichen Schule verstanden zu haben.
Ja die Konflikte beginnen schon mit dem Aufwachen und ziehen sich durch den Tag. So schnell wie ein Streit anfängt hört er aber auch wieder auf. So sind dennoch alle Freunde im Hostel. Es wird niemand ausgeschlossen, man hält zusammen. Wirklich jeder ist fähig, das wenige was er hat zu teilen.
Nach dem die Kinder Schulfertig sind geht es auf zum Frühstück. Mitgebrachte Snacks der Eltern werden dann unter den Freunden aufgeteilt und oft wird mir nicht nur etwas angeboten sondern einfach direkt in den Mund geschoben, ohne wenn und aber.
Die Yogshala (Main Hall) ist gut gefüllt, morgens essen Small, Medium, Big und Senior Schüler gemeinsam. Gespräche füllen die Luft während jeder seinen Reis ist. Meine Medium Boys sind jetzt beschäftigt, also kann ich mir die Zeit nehmen zum Frühstück mit den anderen Freiwilligen vor der Küche Platz zu nehmen und gemeinsam in den Tag zu Starten.
Nachdem alle Bäuche voll und alle Teller sauber geputzt sind finden sich Schüler und Lehrer zur täglichen Schulversammlung zusammen. Die Nationalhymne erklingt und die ganze Schule steht still für eine Minute.
Anschließend geht der Musikunterricht los. Heißt, ich kann mich für ein paar Stunden ausruhen, wenn ich nicht grade eine „Elementary Class“ oder einen Lunch Platecheck habe. Gerne mache ich dann einen Spaziergang nach Kalkeri, gehe einen Chai trinken, verbringe Zeit im Freiwilligenhaus oder genieße das angenehme Wetter in der Hängematte mit einem guten Buch. Oft fallen aber auch Meetings, Elementary Class Master Aufgaben und allgemeine Hilfeleistungen in die Freizeit. Diese Tage sehen dann etwas ansträngender aus, weil man keine Pause findet.
Wenn die Schulglocke zum letzten Mal am Tag klingelt und die ruhige Lernatmosphäre von fröhlichen Kinderstimmen unterbrochen wird, treffe ich meine medium Boys im Hostel wieder. Das Lehmhaus liegt an gehöht auf der Jungsseite des Campus. Ein kleiner Garten schmückt die Vorderseite des Hostels. Den Jungs macht es Spaß sich um die Pflanzen zu kümmern.
Es ist Zeit, das Nachmittagsobst auszugeben. Ähnlich wie beim Platecheck lernt man hier Geduld zu bewahren und sich von den Kindern nicht überrumpeln zu lassen. „Look look Lisa!! Can I haveNashta pleaaaasssee?“ tönt es dann aus jedem Mund. Anschließend wird die Gamebox geöffnet. Wer belommt den Ball, das Caromboard oder die UNO Karten? Der, der am schnellsten ist. Um den Kindern Verantwortungsbewusstsein für ihre Spielsachen beizubringen trägt jeder selbständig seinen Namen und das ausgeliehene Spiel in ein Buch ein und auf geht`s! Die eine Stunde Freizeit, die den Kindern in ihren durchgetakteten Tag bliebt geht auch schnell vorüber, denn die Hausaufgaben rufen und alle kehren zurück ins Hostel. Langsam wird es dunkel und der Campus wird leise. Ich nutze die Lernzeit um löchrige Kleidung zu nähen, doch der Haufen scheint seit Monaten nicht kleiner zu werden. Schließlich neigt der Tag sich dem Ende zu und die Abendessens Glocke läutet. Zum dritten Mal am Tag wird Reis ausgegeben, die Kinder lieben es. Zu ihrer Belustigung essen die Freiwilligen meistens die Gemüsebeilage, die sie eher meiden. Aufgedreht vom Tag wird noch etwas vor dem Zähneputzen rumgetobt. Vor dem Schlafengehen freuen sich alle noch drei Mal wöchentlich auf einen Film oder Dokumentation, an andern Tagen wird eine Gutenachtgeschichte erzählt. Zuletzt werden die Chetais ausgerollt und Decken ausgelegt. Jeder hat seinen festen Platz und schlummert dahin während ich Gutenachtküsse verteile. Gemeinsam mit den andern drei Betreuern warte ich bis das Hostel schläft und jedes Mal auf neue fällt mir zu der Zeit auf, wenn alle Jungs in ihren Decken eingekuschelt auf dem Boden lieben, wie sehr ich jeden einzelnen in mein Herz geschlossen habe.

Wenn ich mich auf den Weg zurück ins Freiwilligenhaus mache tönt noch aus einem oder anderem Klassenzimmer Musik, denn die College Schüler nutzen die nächtliche Ruhe zum üben. Im Freiwilligenhaus trifft man meisten noch ein paar Mitbewohner an und kann den Abend schön ausklingen lassen. Wenn ich Glück habe sagt mir auf dem Weg zu meiner Hütte noch eine Sternschnuppe gute Nacht und ich kann müde ins Bett fallen.

Viele liebe Gruesse aus Kalkeri,
Eure Lisa