Kaum zu glauben, ich melde mich aus Deutschland!! Seit genau zwei Wochen bin ich zurück in Europa.
Kalkeri schlief noch friedlich, als ich um 5 Uhr morgens am 7. Juli das letzte Mal meinen Rucksack schulterte und mich in meinen abschließenden Reisemonat begab, der mich in den Norden Indiens und Nepal geführt hat.
Die Woche vor meinem Abschied haben wir Freiwilligen mit den Kindern eine Tanzparty im Hostel gefeiert und wunderbare letzte Tage genossen. Gerne habe ich jeden Ort aufgesucht, der mir über das Jahr ans Herz gewachsen ist und habe so von Kalkeri und der Schule Abschied genommen. Danke an alle meine Kalkeri Freunde für ein wunderschönes gemeinsames Jahr!
An diese Stelle spreche ich auch ein großes Dankeschön an alle meine Förderkreisunterstützer aus, die mir dieses Jahr ermöglicht haben, Danke!!
ICJA bittet alle Freiwilligen um eine abschließende Reflektion ihres Jahres. Hier möchte ich gerne meinen Abschlussbericht mit euch teilen, der den Lernprozess meines Freiwilligen Sozialen Jahres zusammenfasst. Viel Spaß beim Lesen:
365
Tage sind um und ich sitze wieder auf der Gartenterrasse bei meinen Eltern in
Berlin. Der Baum vor mir ist deutliche gewachsen, genauso wie mein Bruder und
meine Schwester. Den bewölkten Monsunhimmel habe ich hinter mir gelassen, denn
hier scheint die Berliner Spätsommersonne. Im Vergleich zu meinen Geschwistern
sitze ich im Pulli da und genieße die kühle Brise nach der im letzten Jahr
erfahrenen Hitze in Indien.
Ich
schließe die Augen und versuche mir Kalkeri vorzustellen, den Ort der
Musikschule in der ich letztes Jahr gelebt und gearbeitet habe. Langsam driften
meine Gedanken ab. Hier in Deutschland ist es grade 9 Uhr morgens, heißt, die
Jungs, die ich über das Jahr betreut habe stellen sich wohl grade zur mittäglichen
Reisausgabe um 12:30 an. Die Tatsache, dass mein Leben nun parallel und
zeitversetzt zu dem in Kalkeri stadtfindet, fällt mir schwer zu begreifen.
In
Kalkeri habe ich in einer Gemeinschaft von 10 – 20 Freiwilligen gelebt, umgeben
von der Musikschule mit etwa 250 Schülern. Meine fünfköpfige Familie erscheint
mir im Vergleich plötzlich sehr ruhig und klein. Das Leben in der Gemeinschaft
in Indien hat mich vieles gelehrt, was ich auch sehr gut hier in Deutschland
auf Familiensituationen und zukünftige neue Wohngemeinschaften anwenden kann.
Das
Zusammenleben mit so vielen Menschen hat mich daran erinnert, dass
Kommunikation das A&O für eine friedliche Gemeinschaft ist. In unseren
wöchentlichen Meetings hatten wir nicht nur die Möglichkeit schulorganisatorische
Dinge zu planen, sondern auch uns über jegliche Themen auszutauschen, die uns
im Zusammenleben beschäftigten, sei es eine Diskussion zu einer nicht sauberen
Küche bis hin zu einem gemeinsam geplanten Freiwilligenabend. Ich habe gelernt
Vertrauen in meine Mitmenschen zu haben und in schwierigen Situationen auf sie
bauen zu können. Ich bin dankbar für alle lieben, unterstützenden Worte und
Umarmungen meiner Mitbewohner, als mich in den ersten Monaten das Heimweh
überkam. Gegenseitige Unterstützung hat uns alle sehr gestärkt.
Da
der Gemeinschaftsgedanke bei jedem sehr ausgeprägt und präsent war, zählten
sich alle Schulmitglieder (Schüler,
Lehrer, Betreuer, Büromitarbeiter & Freiwillige) gerne zur „KSV Family“.
Freiwillige
die sich in Kalkeri engagieren, haben die Möglichkeit als Kunst-, Mathe- oder
Englischlehrer, Betreuer oder Krankenpfleger in der Schule mitzuwirken. Gerne
werden auch Freiwillige aufgenommen, die selbstständige Projekte für die
Freizeitgestaltung der Kinder planen (z.B. Yoga- oder Tanzklassen). Im Allgemeinen
wird jedem Freiwilligen während seines Aufenthalts ein Aufgabenbereich
zugeordnet (z.B. war ich Betreuerin für die Jungs der 3 – 6 Klasse).
Außerdem gehört es zur gemeinsamen Freiwilligenarbeit, samstags beim
Aufräumen des Schulgeländes zu helfen, sowie
einen gestaltungsreichen Sonntag für die Kinder zu organisieren. Hinzu kommen
weitere kleine Aufgaben, wie die morgendliche Mülltrennung, helfen bei der
Essensausgabe und dem Tellerverteilen.
Schön
ist es, dass Freiwillige während des Aufenthalts auch die Möglichkeit haben,
neben ihrer Arbeit, klassische hindustanische Musik von Schülern und Lehrern Vorort
zu lernen. Beispielsweise habe ich Gesangsstunden genommen und bin so der Kultur
und den Menschen auch in musikalischer Hinsicht näher gekommen.
Rückblickend
bin ich sehr zufrieden, nach den ersten drei Monaten im Projekt, in denen ich
erst einmal als Lehrerin gearbeitet habe, schließlich auszusprechen, dass ich
lieber als Betreuerin tätig wäre. Ich hatte Glück, dass ein Lehrer- Betreuer
Tausch zu dem Zeitpunkt möglich war. Nach einigen Gesprächen mit meiner
Freiwilligenkoordinatorin, in denen wir über meine Arbeit und die damit
verbunden Erwartungen und Vorstellungen meinerseits, den Pflichten der Realität
gegenüber gestellt haben, war für uns
beide offensichtlich, dass ich in Kalkeri besser als Betreuerin aufgehoben
wäre.
Nachdem
ich also einer Aufgabe gefolgt bin die mich erfüllt hat, konnte ich beobachten
wie viel mehr Energie, Freude und Spaß ich in meiner Arbeit stecken konnte als
zuvor. Viel aktiver und motivierter habe ich meine Tage angetreten.
Die
ersten drei Monate waren geprägt von Heimweh und einer nicht zufrieden
stellenden Arbeit. Nach dem Wechsel hat sich die Situation für mich um 180˚
gedreht.
Dies
hat mich gelehrt und mir geholfen abzuwägen und bei Unzufriedenheit das
Gespräch mit meinen Mitmenschen zu suchen, um gemeinsame Lösungen zu finden.
Im
Allgemeinen war es zu Beginn eine Herausforderung ein Gleichgewicht zwischen
Arbeit und Freizeit zu finden, weil man mit seinen Vorgesetzten und
Mitfreiwilligen auf dem Schulgelände sowohl gearbeitet als auch gelebt hat. So
wird man mit Allem und Jedem ständig konfrontiert und kann sich nicht
verkriechen. Die ständige Begegnung hat jedoch letztendlich zu einem ehrlichen
Zusammenleben untereinander beigetragen.
Ab
meinem dritten Monat in Kalkeri bestand meine Aufgabe darin, die Ansprech- und Vertrauensperson
für 40 Jungs aus der 3 – 6 Klasse zu sein. Sie in ihrem Alltag zu unterstützen,
ihnen Zeit, Liebe, Vertrauen und Aufmerksamkeit zu schenken sah ich als meine
Aufgabe als Betreuerin. Über das Jahr habe ich eine familiäre Beziehung zu den
Kindern aufgebaut. Da alle von klein auf sehr lange Zeit fern von ihren
Familien und Müttern aufwachsen, suchen viele Kinder nach einem Schwester- oder
Mutterersatz. Ich bin sehr in meiner Aufgabe als Betreuerin aufgegangen.
Kontakt zu den Kindern aufzubauen ist mir leicht
gefallen. Sowohl sie als auch ich, waren sehr aufgeschlossen und neugierig uns
gegenseitig kennen zu lernen. Mir fällt es leicht loszulassen und mit den
Kindern zu toben und sie zu beschäftigen. Gerne habe ich ihre englische
Kenntnisse gefordert und Gespräche mit ihnen gesucht, mich mit ihnen über ihren
Tag, Spiele, die Schule und Filme unterhalten. Auch habe ich viel vorgelesen
und Geschichten erzählt, sowie mit ihnen gebastelt und gemalt.
Ohne Probleme bin ich gerne kleineren Aufgaben
wie dem Nähen und Reparieren kaputter Kleidung und dem Verarzten kleiner
Verletzungen nachgegangen. Die alltägliche Bereitschaft die ich den Kindern
geboten habe, hat sie gelehrt mir zu vertrauen und mich in ihrem Zuhause zu
akzeptieren. Das Hostelleben ist für mich mit der Zeit zu einem zweiten Zuhause
geworden und die 40 Jungs meine kleinen indischen Brüder.
Während
der Arbeit im Hostel habe ich mir die Verantwortung für die Kinder mit mindestens
einem
indischen
Betreuer geteilt. Über das Jahr haben die Betreuer, mit denen ich
zusammengearbeitet habe, mehrmals gewechselt. Mit jedem fiel die Zusammenarbeit
unterschiedlich aus, dennoch war stets die Kommunikation ausgewogen. In
Anbetracht kulturübergreifender Zusammenarbeit ist mir aufgefallen (da ich in
einem Jungshostel gearbeitet habe und somit nur männliche Kollegen hatte), dass
einige indische Männer überrascht waren, von mir als Frau mit so vielen
Meinungen und Ideen konfrontiert zu werden. Teilweise hatte ich das Gefühl, bei
einigen Entscheidungen der Einfachheit halber übergangen zu werden. Jedoch hat
sich das schnell gelegt und ich habe mich im Hostel respektiert gefühlt.
Ich
habe während meines Freiwilligen Sozialen Jahres nicht nur hinsichtlich der
Arbeit mit Kindern aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen
etwas gelernt, sondern auch viel im Bezug auf das gemeinsame Leben mit Menschen
aus unterschiedlichsten Ländern, sowie über den internationalen Kultur- und Wissensaustausch.
Auch
meine Sprachkenntnisse haben sich verbessert. Ein Jahr lang war die englische
Sprache mein tägliches Kommunikationsmittel. Anfangs war ich eher schüchtern
mich auf Englisch in großer Runde zu äußern, jetzt ist das kein Problem mehr.
Im
Allgemeinen kam mir vieles zu Beginn wie ein großes zu bewältigendes Hinderniss
vor. Während der Zeit in Indien habe ich jedoch gelernt die Hindernisse gelassener
anzugehen, den Berg zu besteigen und die wunderschöne Aussicht des Gelernten zu
genießen!
Vielen Dank fürs Lesen! Es hat mich gefreut, mein Jahr hier mit euch zu teilen!
Dieser Post ist mein letzter Eintrag.
Viele liebe Grüße!!
Eure Lisa